IGOR LEVIT – NO FEAR
Ein Film von Regina Schilling
Igor Levit, Mitte dreißig, ist ein Ausnahmekünstler im mitunter etwas gediegenen Universum der klassischen Musik. Er will mehr als konzertieren – und gleichzeitig sind es seine einzigartigen, intensiven Konzerte, in denen er ganz bei sich zu scheint. Mit acht Jahren kam er mit seiner Familie als jüdischer Einwanderer russischer Abstammung nach Deutschland. Seit er auf den großen Bühnen steht, meldet er sich immer wieder öffentlich und politisch zu Wort - eine ‹berlebensstrategie, die er in seinem Leben und in seiner Musik verfolgt. Er füllt die großen Konzertsäle rund um die Welt und spielt bei Eiseskälte im Dannenröder Forst aus Protest gegen dessen Rodung. Er legt die gefeierte Aufnahme aller Beethoven-Sonaten vor und widmet sich dann Schostakowitsch und Ronald Stevensons atemberaubender „Passacaglia on DSCH“. Er schlägt die Brücke vom Alten zum Neuen, von der Musik zur Welt, dorthin, wo die Menschen sind.
IGOR LEVIT - NO FEAR begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen, nach seiner Identität als Künstler und Mensch. Wir beobachten Levit bei der Aufnahme neuer Werke, seiner Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister Andreas Neubronner, mit Dirigenten, Orchestern und Künstlern, seinem intensiven Eintauchen in die Musik, seiner Hinwendung zum Publikum, diesem unwiderstehlichen Wunsch zu teilen. Dann bremst Covid dieses Leben unter ständiger Hochspannung von einem Tag auf den anderen aus. Über 180 gebuchte Konzerte in der ganzen Welt werden abgesagt. In dieser Situation des unfreiwilligen Stillstands ist Levit einer der ersten, der erfinderisch wird und mit seinen allabendlich gestreamten Hauskonzerten eine musikalische Lebensader zwischen sich und seinem Publikum auf Instagram und Twitter aufbaut. Während dieses Prozesses entdeckt er eine neue Freiheit, abseits der Zwänge des Tourneebetriebs, der Veröffentlichungen und der Vermarktung.
IGOR LEVIT - NO FEAR ist das inspirierende Porträt eines Künstlers auf seinem Parcours zwischen traditioneller Karriere und neuen Wegen in der Welt der Klassik, dem Impuls des politischen Engagements und der ständigen künstlerischen Herausforderung, zwischen Kontemplation und Bewegung. Immer wieder nimmt sich Filmemacherin Regina Schilling dabei die Zeit, Igor Levits Musik zuzusehen und zuzuhören und der Faszination, dem Geheimnis jenseits der Worte Raum zu geben.
Mit Igor Levit, Andreas Neubronner, Franz Welser-Möst, Markus Hinterhäuser, Antonello Manacorda u.v.a.
Buch & Regie: Regina Schilling • Montage: Carina Mergens • Kamera: Johann Feindt, Piotr Rosolowski, Axel Schneppat, Jule Katinka Cramer, Thomas Keller, Hajo Schomerus • Ton: Miguel Murrieta Vásquez, Christian Lutz, Filipp Forberg • Tongestaltung & O-Ton: Andreas Hildebrandt • Mischung: Matthias Lempert • Postproduktion: Swen Linde, Uta Huerter, Ninette Botha, Tanja Lüke • Redaktion: Christian von Behr, Martina Zöllner • Herstellungsleitung: Tassilo Aschauer • Produzent: Thomas Kufus
Eine Produktion von zero one film in Koproduktion mit ARTE/RBB • Gefördert von Medienboard Berlin-Brandenburg, Film- und Medienstiftung NRW, BKM und DFFF • Verleih gefördert von BKM und FFA
Im Verleih der Piffl Medien
D 2022 | 118 min | DCP | 1:1,85 | 5.1
Ein kleines Meisterwerk … Der Film hat eine besondere Dynamik, einen richtigen Sog. Es geht in Konzertsäle, Aufnahmestudios. Das Dabeisein bei den Aufnahmen hat schon hohen Schauwert. (…) Regina Schilling ist eine Regisseurin, die einen besonderen Blick dafür hat, in ephemeren Dingen das Allgemeine zu entdecken.
HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG
Man klebt förmlich an der Leinwand fest. Man dar nicht nur zusehen, auch zuhören. Man darf nicht nur streifen, sondern eintauchen. „Igor Levit – No Fear“ wird als Einblick in ein Künstlerdasein zum Solitär. Dieses Kinostück überstrahlt alles, was man bislang von ihm zu wissen glaubte. Es ergänzt nicht nur. Im feinen Zwirn der edlen Konzerthäuser sieht man den Schweiß nicht triefen, hier schon. Am Ende sitzt er dann im Dannenröder Forst am Instrument. Der gefährdete Wald wird zur Carnegie Hall und Levit zur Projektion einer Hoffnung.
PLAYER LEIPZIG
Als Kind habe ich das Klavierspielen geliebt, aber das üben und den Unterricht gehasst. So wurde das eine sehr kurze Episode in meinem Leben. Aber ich erinnere mich gut daran, was mit den Melodien passierte, die ich spielte. Sie verwandelten sich in Geschichten. Es gab Gefahren, Abenteuer, und es gab Rettung in letzter Minute. Ich glaube, ich verstehe Igor Levit, wenn er sagt, mit der Musik erzähle er Geschichten, Geschichten über Menschen.
Auch ich bin eine Geschichtenerzählerin. Was mich immer wieder interessiert in meinen Filmen, ist die Frage: Woher kommt die Kunst? Aus der Biografie? Ist sie eine göttliche Gabe? Wie verhält sich das bei Igor Levit? Im Alter von 8 Jahren mit seiner jüdischen Familie aus Russland nach Deutschland gekommen, hat er die ersten Jahre seiner Kindheit faktisch vergessen. Aber seine Hände erinnern sich daran, dass er bereits mit drei Jahren Klavierunterricht erhalten hat.
Was ist der Schlüssel zu der unglaublichen emotionalen und künstlerischen Intensität seiner musikalischen Interpretation? Wie verwandelt Levit Musik in einen Seelenzustand? Wie lebt es sich mit einer so großen Begabung, die so viele Menschen glücklich macht, für die Begabten selbst aber vielleicht zur Verpflichtung, zur Last werden kann? Verspürt Igor Levit manchmal den Drang, aus seinem über Jahre im voraus verplanten Leben auszubrechen, die Freiheit zu suchen? Wieviel Freiheit steckt in der Musik?
Wir drehten von Mai 2019 bis Dezember 2020 und durften Igor Levit begleiten, zu Konzerten, Proben und Aufnahmen. Sprachen anfangs vor der Kamera über seinen Werdegang und seine Zukunftspläne. Und wir rasselten mit ihm gemeinsam in die Krise, in den Corona-Lockdown. Sie bescherte ihm viele dunkle Stunden, sie öffnete ihm aber auch neue Möglichkeiten. Die Musik hat ihn gerettet, so sagt er. Und so wurde auch unser Film ein anderer. Es wurde ein Film über die Musik und die Arbeit an der Musik, auch über den Körper und das Hören, über die Verbindung, die sich zwischen Musizierenden und Zuhörenden herstellt. Manche der Fragen, die ich mir anfangs stellte, sind hier, jenseits der Sprache, vielleicht am besten beantwortet.
Regina Schilling